GEORGE LEWIS / OXANA OMELCHUK // STUDIO DAN - Breaking News
Neue Zeitschrift für Musik 05/2020, Jakob Böttcher, 2020-12-01
Das Wort “Aneinanderreihung” hat seine negative Konnotation in der deutschen Sprache völlig zu Unrecht, denn wer es vermag, an den richtigen Stellschreuben zu drehen, kann eine Reihung so spannend gestalten, dass sie weit mehr hergibt als so manch ausgestalteter Pozess. Bei Georg Lewis scheinen die klanglichen Szenen so zwangsläufig und logisch aufeinander zu folgen, dabei gibt es den Klangereignissen im Ensemblestück As we may feel jeweils nur etwa 20 Sekunden zur Entfaltung, schon kommt etwas Neues – konzentrierten Klangflächen folgen brodelden Chaosklängen, immer im Mezzopiano mit Ausbrüchen ins Forte. Die Klangcharakteristika der neun Instrumente werden nicht versteckt, sondern hervorgehoben, dadurch haben Stück und Aufnahme ein immense Klarheit – die Musizierenden von Studio Dan haben Freude am Spiel mit den Szenen.
Mit dem Stücktitel As we may feel spielt Lewis auf den für die Anfänge der KI wegweisenden Text As we may think von Computerpionier Vannevar Bush an, ausführlich beschrieben im großartigen Booklet von Brian Morton. Wenngleich der KI-Bezug zum Stück vieldeutig ist, lässt sich feststellen: Die Assoziation als Lewis‘ Kompositionsmethode ist gerade das, was wir einer KI am wenigsten zutrauen würden. Lewis selbst postuliert, so liest man im Booklet, dass man sein Stück auch als Improvisation hören kann, und verkennt damit die hervorragendste seiner Leistungen: die Auskomposition von Mikro-Ideen in eine filigrane Kette. Dieser Kunst ist auch Oxana Omalchuk mächtig, die in Wow and Flutter für zwei Posaunen und Ensemble einer kleineren Auswahl von Ideen mehr Zeit zur Entfaltung gibt. Omelchuk stellt ihre Ideen von Popsong-Länge einfach hintereinander, durch Pausen getrennt, und vielleicht gerade dadurch wirkt Wow and Flutter so durchkomponiert. Die Klänge sind völlig unterschiedlich, mal düster, mal Zirkusmusik, mal Swing, und die beiden Posaunen reproduzieren durch leicht zeit- und mikrotonversetztes Spiel besonders im Stereobild der Aufnahme großartige wows und flutters (Gleichlaufstörungen). Omelchuks Musik ist durchsetzt von kurzen Tape-Einspielungen früher Jazz-Musik, wodurch sich weniger eine zeitliche Dimension entfaltet als eine Gleichzeitigkeit der Musikgeschichte, die an Bernd Alois Zimmermann erinnert. Besonders beeindruckend sind die weichen Metamorphosen zwischen zeitlosem Weltallklang und Slow-Swing am Ende des Stücks, sich so fern im Stil und so überraschend nah in der Klangverwandtschaft.
Georg Lewis‘ As we may feel ist ein betörendes Klangkontinuum, stringent und klar in Ton und Form, impulsiv in den Klangideen und besonnen in deren Verbindung. Oxana Omelchuk schafft es in Wow and Flutter auf faszinierende Weise, stilistisch völlig unterschiedliche Szenen so zusammenzubringen, dass sie klingen wie aus einem Guss. Mit den Breaking News vereint Studio Dan diese beiden rasanten Werke und ihre Kunst, Klangszenen auf eine beeindruckend selbstvertändliche Art zu verbinden.