records & other stuff: Fanfare – rocket science – HOHNOR
HörBar - Neue Musikzeitung, Martin Hufer, 2021-07-22
Ein neues Label mit dem Namen aus Österreich „records & other stuff“ widmet sich in seinen ersten drei Veröffentlichungen dem Musikensemble „Studio Dan“. Kein Wunder, denn es ist das Label des Ensembles. Studio Dan gehört zu den Formationen flinker Musiker:innen, die – laut Eigenbeschreibung – spielend „an den Grenzen und Rändern verschiedener Subgenres zeitgenössischer Musik (Improvisation, neue Musik, Jazz und Art Rock)“ herumoperieren. So kann man es jedenfalls im Presseinfobeiblatt lesen. Stimmts? Die drei CDs Fanfare III, HOHNOR und Rocket Science #1 #5 #8 spannen das Feld erstmals auf und belegen: Ja.
CD 3 (ROS 3) bringt die drei Rocket Science betitelten Kompositionen Fred Friths ans Ohr. Repetitive Musik in bekannter Frith-Manier mit verschrobenen Akzenten, Tempowechseln in meist sehr strengen Grundmetren. Präzision der rhythmischen Gestaltung ist gefragt. Es muss pulsen, in Extremlagen wie im simplen Unisono oder Multisono (gibt’s das als Begriff?). Das ist schon toll gespielt von Studio Dan, kompositorisch bleibt alles ein bisschen fad, auch wenn einen die Ankündigung auf der Website anderes erwarten lassen will („Die Musik, möchte man glauben, ist geradlinig und unkompliziert. Das Gegenteil ist der Fall: wie es mit allen ‚einfachen‘ Dingen ist, neigen sie dazu, uns das Meiste abzuverlangen. In diesem Sinn ist auch der Titel Programm.“) Aber echt? Raketenwissenschaft? Mit einer Gesamtspieldauer von etwas unter 10 Minuten bleibt viel Platz fürs Nachklingenlassen und wirkt die CD erstaunlich lang.
CD 2 (ROS 2) ist mit knapp 19 Minuten Länge wohl zum Vorklingenlassen besser geeignet. Bei HOHNOR handelt es sich um ein Auftragswerk an den Komponisten Christian F. Schiller für die Besetzung mit zwei Mundharmonikas und Ensemble. Die steht erst mal und pustet vor sich hin – lange Zeit. Aber kurz gesagt, man muss/darf/kann/mag sich schon mittreiben lassen mit dieser geradezu minimalinvasiven Musik. Ich mag/kann/will das, denn auf diese Weise kann das Hören wie mit dem Lasso die sinnliche Tiefe der Klänge einfangen. Scharf/Unscharf à wie beim Fotografieren, wenn man im Nah- beziehungsweise Makrobereich fokussiert und kleinste Bewegungen des eigenen Körpers immer wieder den Fokuspunkt verschieben, den man am Objektiv dann zu kompensieren beginnt – die Musik schwimmt. Und zack: Fliege im Bild … Umso besser.
CD 1 (ROS 1) lässt Fanfare III des Ensembleleiters und -gründers Daniel Riegler in sieben Teilen erklingen. Studio Dan trifft dabei auf den Saxophonisten Michel Doneda. Aber man suche besser nicht zu lange nach Fanfaren. Es gibt hier ein gut sitzendes Gebräu brodelnder Musikenergie, vielfarbig, gerne auch akustisch durchbrochen, mit multimäandernden synchronen Klangschichten. So simpel kann Komplexität sein. Echt jetzt! Man muss manchmal die Menschen eben auch nur einfach machen lassen und ihnen zutrauen. Ohne das Ensemble als musikalische Material eigener Art, gäbe es die Musik in dieser Form sicherlich nicht. Das längste Stück „Spektral“ ist dank seiner langsamen Gesamtbewegung wie im Rausch – so wie man es auch von den Clusterkompositionen Ligetis wie bei Lontano her kennt, nur hier eben eine deutliche Spur befreiter und unvorhersehbarer.
Guter Start fürs neue Label. records & other stuff verweigert sich den Streamingdiensten ebenso wie dem musikindustriellen Großhandel. Die CDs gibt es im Direktverkauf – und vielleicht beim Tonträgerdealer ihrer Wahl um die Ecke. Und other stuff findet man ebenso.