Studio Dan

Pulsieren an der Badestelle

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Nachtkritik, Theresa Luise Gindlstrasser, 2022-07-24

Die Choreografin Eva-Maria Schaller ist bekannt für ihre Revitalisierungen von Werken der Tanzgeschichte. Beim ImPulsTanz Festival in Wien zeigt sie nun legere Bewegungsabfolgen zu einer Komposition von Julius Eastman. An diesem Abend heißt das: Tanztheater in unmittelbarer Nachbarschaft zu Tischtennisplatten und Liegewiesen-Schwitzenden.

Kaiserwetter am Kaiserwasser! Der Spielort der Uraufführung von Eva-Maria Schallers Choreografie zu Julius Eastmans Komposition "Femenine" aus dem Jahr 1974 heißt: Badestelle am Kaiserwasser. Das ist ein Seitenarm der Alten Donau und weil's in Wien schwitze-schweiß 36 Grad hat, wird dortn hinter dem Gemeindebau fleißig gebadet. Ein Fußweg trennt die Liegewiese von der Bühnenwiese, über die der Goethehof gnädigerweise seinen Schatten wirft. Hier wird Scheinwerferlogik umgekehrt: Erst wenn das Gesicht der Tänzer:innen nicht mehr von der Sonne beknallt wird, stehen sie im Fokus der Aufmerksamkeit.

Die Vögel singen, die Sonne brennt

Stehen sie im Fokus der Aufmerksamkeit eines bei freiem Eintritt auf Decken sitz-liegenden Publikums, bis dann die Bewegungen der Umgebung – der Vogel, das Tischtennisspiel, die Laufkundschaft – das Schauen wieder in die Breite gehen lässt. "Gibt es einen Ort, an dem die Musik Julius Eastmans n i c h t aufgeführt werden könnte?!", fragt und ruft der Programmtext aus. Der afroamerikanische Komponist und Pianist lebte von 1940 bis 1990, seine minimalistischen Arbeiten nannte er "organic music". 75 Minuten lang insistiert und perpetuiert "Femenine" den Klang von Glocken und Vibraphon während Streichinstrumente kaskadisch antreiben. Die neun Musiker:innen und fünf Tänzer:innen – allesamt aufmerksamkeits-farbenfroh gekleidet – pulsieren zu anfangs gemeinsam dahin.

Die Musik durch den Körper zu verstehen, so formuliert Schaller ihr Konzept. Die 1985 geborene Choreografin und Tänzerin revitalisierte mit vorangegangenen Arbeiten Werke der Tanzgeschichte. So zeigte sie 2021 ebenfalls im Rahmen von ImPulsTanz das Solo "Recalling Her Dance – a choreographic encounter with Hanna Berger", ein Weiterdenken und Weitertanzen von Notizen und Choreografien einer prägenden Künstlerin des Modernen Tanzes, geboren 1910 in Wien, gestorben 1962 in Berlin. Für "Femenine" steht Schaller im Ensemble auf der Bühne und übersetzt die offene Partitur Eastmans in luftige Bewegungen. Es wird gelaufen, geschwungen und Gewicht aneinander abgegeben, miteinander in die Luft gehoben. Lange Arme durchmessen den von keinem Schnürboden begrenzten Raum.

Minimalistisches Pulsieren

Anfangs nähern sich die Tänzer:innen in der zeitlich versetzten Wiederholung einer kleinen Bewegungsabfolge aneinander an. Der Kanon wird synchron, leger synchron, auf eine unstrenge und ungemein hypnotisierende Art und Weise synchron. Das Ensemble insistiert und perpetuiert den Moment des Zusammenkommens als Ensemble. Dann aber, nach einer kleinen Ruhe- und Wasser-Pause, kehren die Tänzer:innen für Solos, Duos oder Trios retour. Das Bewegungsmaterial wird vielfältiger und beliebiger, vergleichsweise barock, all das schöne minimalistische Pulsieren ist futsch. Was wohl intim und komplex sein will, verliert sich zwischen all den anderen von der Decke aus beobachtbaren intim-komplexen Momenten an der Badestelle. Obwohl die Musik stetig vorwärts drängt, ist in Sachen Tanz nach etwa einer halben Stunde die Luft draußen. Dann irgendwann klingen auch Glocken und Vibraphon aus. Nur die Badenden, die machen weiter ihr Ding.