Tanz-Experiment: Choreografin Schaller zeigt bei Impulstanz verdrängte Größen
Der Standard, Helmut Ploebst, 2022-07-26
Julius Eastman (1940–1990) fand ein tragisches Ende. Allein und mittellos starb der afroamerikanische homosexuelle Musiker und Komponist mit nur 49 Jahren in Buffalo. Davor standen kindliche Hochbegabung, glänzendes Pianistenstudium, eine vielversprechende Karriere. Trotzdem folgten der Abstieg in Drogensucht, Obdachlosigkeit und Vergessenwerden.
Davon, wie wertvoll Eastmans Erbe ist, kann sich das Publikum derzeit in einer Aufführungsserie des jüngsten Stücks Femenine der Choreografin Eva-Maria Schaller bei Impulstanz überzeugen. Eastmans gleichnamige Minimal-Music-Komposition aus dem Jahr 1974 spielt das Studio Dan unter Daniel Riegler.
Die Musizierenden sowie ein Tänzer und vier Tänzerinnen haben die Uraufführung dieses Werks am Montag unter freiem Himmel auf der Wiese vor einem Kaisermühlener Gemeindebau gewagt. Es ist ein lebendig getanztes Experiment geworden, das zwar zu komplex und sensibel für den öffentlichen Raum ist, dafür aber erfüllt von einer Aufbruchstimmung, die der schwer lastenden Gegenwart entschieden widerspricht.
Expressionistischer Nachwuchstanz
Ganz anders die Stimmung einer Arbeit, die Impulstanz im Rahmen seiner 8:tension-Reihe für Nachwuchstanz zeigt: Das Solo Figuring Age der Choreografin Boglárka Börcsök (in Kooperation mit dem Filmer Andreas Bolm) erinnert an drei völlig vergessene expressionistische Tänzerinnen aus Ungarn. Dieses Thema verbindet Börcsök mit Schaller, die sich ebenfalls mit der historischen Tanzmoderne beschäftigt und im Vorjahr ein Stück über die Wiener Tänzerin Hanna Berger vorgestellt hat.
[...]
Schaller wie auch Börcsök sind Teil einer starken Strömung im zeitgenössischen Tanz, die den Blick aufs Historische neu justiert.