Studio Dan

"Being Karl Dieter": Musikanalyse kann auch sexy sein

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derstandard.at, Stefan Ender, 2025-09-26

Ein Mann in glänzendem, dunkelblauem Outfit liegt in einer dramatischen Pose auf einem Tisch. Im Hintergrund sind ein gelbes Sofa, eine Decke und ein moderner Stuhl zu sehen. Die Szenerie wirkt wie eine Bühnenaufführung.

Im glänzenden Seidenpyjama streift Thomas Wally um die Werkblöcke, die er zuvor mit leiser Stimme analysiert und nun zu einer klar strukturierten, mauerartigen Reihe aufgebaut hat. Zärtlich berührt seine Hand deren glatte Oberfläche ... Ohne Zweifel: Dieser Mann hat einen Fetisch und eine Mission. Thomas Wally will Musikanalyse sexy machen.

Im MuTh war so im Rahmen der Musiktheatertage Wien Being Karl Dieter zu erleben, laut Eigenankündigung eine "Live-Ausgabe" der Neuen Musik auf der Couch. Also jener Sendereihe, die der Komponist, Geiger und Senior Lecturer für Höranalyse an der MDW monatlich auf Ö1 gestaltet.

Literatur trifft Musik

Seziert Wally dort Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts, so bespricht er nun ein Werk des fiktiven verstorbenen Komponisten Karl Dieter, in dem dieser wiederum auf literarische Werke von Thomas Mann (Doktor Faustus), Virginia Woolf (The String Quartet) und Haruki Murakami (Charlie Parker Plays Bossa Nova) Bezug nimmt. Wally findet Teiltonakkorde und Quintfallsequenzen genauso wie biografische Verknüpfungen und klangliche Übersetzungen von Sprachbildern. Im Orchestergraben werkt das zwölfköpfige Ensemble Studio Dan, dirigiert von Xizi Wang. Sprache und Komposition, Analyse und Klangbeispiel sind in Wallys abendfüllender Musiktheater-Performance auf virtuose Weise verzahnt und synchronisiert.

Soll man die informationspralle Veranstaltung (Regie: Florian Drexler) nun als hingebungsvolle Demonstration der Werthaltigkeit Neuer Musik beschreiben oder als eine selbstironische Betrachtung der eigenen Zunft? Im MuTh ließ sich das Publikum vom bloßfüßigen Wissensvermittler im Schlafanzug jedenfalls freudvoll aufklären.