Daniel Riegler im MICA-Interview
MICA - music austria, Christoph Benkeser, Michael Franz Woels, 2020-08-31
Mit der CD „Breaking News“ veröffentlichte das umtriebige STUDIO DAN im Juni auf dem Schweizer Avantgarde-Label HATHUT RECORDS auch Live-Aufnahmen von zwei ursprünglich beim musikprotokoll uraufgeführten „Lieblingsstücken“. Welche Möglichkeiten sich in Wien-Brigittenau demnächst auftun, über die Notwendigkeit des Sich-Raum-Nehmens und die Planbarkeit von Unvorhergesehenem hat DANIEL RIEGLER im Gespräch mit Michael Franz Woels und Christoph Benkeser erzählt.
Nach den abgesagten Konzertprojekten „Virus Handelskai“ und „Tonikum“ heißt es Ende August nun: „ZONK!?!!“ – zehn Tage Grätzl-Konzerte in der Brigittenau von Studio Dan. Wie ist es dazu gekommen?
Daniel Riegler: „Virus Handelskai“ war lange vor dem Ausbruch des Corona-Virus als anschauliche, fast plakative Form von Intervention auf nur einem Platz im 20. Bezirk angedacht. Eine kleine Zelle sollte sich über drei Wochen wie ein Virus ausbreiten. Im März waren wir mit der Planung fertig. Dann kam der Lockdown. Kurz hatten wir noch die Hoffnung auf eine Durchführung; und wechselten zum Namen „Tonikum“. Aber es wurde schnell klar, dass wir dieses Projekt verschieben müssen. Wir haben dafür auch das Setting verändert und spielen nun an mehreren Orten im 20. Bezirk, allerdings etwas kürzer.
Welchen Stellenwert hat Kunst und Live-Musik im öffentlichen und im unöffentlichen Raum?
Daniel Riegler: Wir „Eingeweihte“ wissen, welche Kraft Live-Musik hat. Allein ein einzelner Klang, unter Anführungszeichen die kleinste Einheit der Musik, kann so viele Kräfte entfalten. Außerdem eröffnet er metaphorische Räume, die wiederum in einem Zusammenhang zum Raum stehen, in dem man sich befindet. Wir sind natürlich nicht die Ersten, die glauben, dass Klang und Musik heilsam sind. Wir wollen, dass unsere Klänge vielen zugutekommen. Das ist unser fast schon missionarischer Ansatz.
Du schreibst in der Ankündigung zu „ZONK!?!!“ vom „Zum-Schwingen-Bringen“ eines Stadtteils. Wie viel Resonanz verträgt der öffentliche Raum?
Daniel Riegler: Es hat keinen Lockdown gebraucht, um über die Bedeutungen und die vielen Funktionen von öffentlichen Räumen Bescheid zu wissen. Es gibt ein Bewusstsein, diesen mitzugestalten – von allen Seiten. Wenn man als Kommune schlau ist – wie Wien –, stellt man die Mittel zur Verfügung, um Partizipation zu ermöglichen. Nun gehen wir mit Studio Dan mit etwas in den öffentlichen Raum, von dem wir überzeugt sind, dass es einen Wert hat; und zwar mit derselben Selbstverständlichkeit, wie viele mit ihren kommerziellen Interessen. Es ist ein Sich-Raum-Nehmen, wie es viele tun. Wir kommen dadurch allerdings auch zu dem Punkt, an dem wir uns mit unserer Musikintervention genauso kritisieren lassen müssen wie eine in den öffentlichen Raum gestellte Coca-Cola-Werbung.
Man muss sich also fragen: Macht es einen Unterschied, ob eine Partei auf die Straße geht und Werbung macht oder ob wir auf die Straße gehen und den Raum bespielen? Ich glaube, wir können unsere musikalische Intervention durchaus als eine Form von zivilem Ungehorsam betrachten. Schließlich scheint es ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, sich im öffentlichen Raum mit seiner „kruden Kunst“ zurückzuhalten. Ganz im Gegensatz zu allen möglichen anderen, nicht weniger kruden Dingen, wie Wahlkampfveranstaltungen. Oder auch: Niemand fragt mich, ob sie oder er mit dem Auto vor meinem Fenster vorbeifahren darf. Es ist einfach vorgesehen. Kunst im öffentlichen Raum muss ein selbstverständlicher Vorgang werden.
Stichwort: ziviler Ungehorsam. Du hast Werbung und kommerzielle Interessen angesprochen, die als gegeben hingenommen werden. Bräuchte es aus künstlerischer Sicht mehr Selbstbewusstsein, um sich die öffentlichen Räume anzueignen?
Daniel Riegler: Ja, es braucht irrsinnig viel Selbstbewusstsein. Ich bewundere Künstler*innen, die das radikal im nicht-geschützten Raum gemacht haben, sehr: zum Beispiel Valie Export und Peter Weibel. Sie haben paradoxerweise als unsere künstlerischen Vorfahrinnen und Vorfahren erreicht, dass es eine Infrastruktur für alle Arten von Nischenkunst gibt. Dort geht es nicht um den Widerspruch, sondern darum, etwas in den Raum zu setzen, dass positiv aufgenommen wird, damit man es weiterentwickeln kann. Und nun gibt es eine künstlerische Selbstbeschränkung auf Räume, die einem zugewiesen wurden. Man beschränkt sich ganz gern auf diese Nischenorte und bleibt dort, weil es bequem ist. Es ist ja schließlich sehr unangenehm an Orten zu spielen, wo einen niemand hören will.
Wohin darf ich gehen? Welchen Raum kann ich mir nehmen? Was ist an Raumangebot vorhanden? Diese Fragen sind in den letzten Monaten vielen Menschen bewusst geworden. Ist das eine Frage, die euch als Studio Dan beschäftigt?
Daniel Riegler: Tagesaktuelle Corona-Fragen haben uns nicht so beschäftigt, weil das Grund-Setting des Projektes vorher schon festgestanden ist. Dass über den öffentlichen Raum allgemein viel mehr und kollektiv nachgedacht wird, ist für uns aber interessant. Es wird viel weniger auffallen, dass wir den öffentlichen Raum gestalten.
Auf welchen Entscheidungen beruht die Auswahl der Orte im 20. Bezirk?
Daniel Riegler: Eine Hauptüberlegung hat da eine Kettenreaktion ausgelöst. Unser Hauptort wäre der Maria-Restituta-Platz gewesen. Dort gibt es zwei Brücken und den Raum der U-Bahn-Station. Das hätte den Vorteil gehabt, dass wir regengeschützt gewesen wären. Allerdings gab es Probleme in der Umsetzung. Wir hätten uns Zeltvarianten überlegen müssen. Das wollten wir nicht. Dadurch kam es zur pragmatischen Entscheidung, möglichst viele Brücken und Unterführungen zu suchen, um sichere Spielorte zur Verfügung zu haben. Wir intervenieren aber auch bewusst an stark frequentierten Plätzen im Bezirk, wo sich Menschen länger aufhalten, wie zum Beispiel in Parks. „ZONK!?!!“ ist dadurch eine wilde Mischung an resonierenden Orten geworden, auch mit sehr verlassenen „industrial Stellen“ und ein paar Studios und Galerien. Auch der Äther wird bespielt: Radio Orange arbeitet vom 20. Bezirk aus. Wir spielen dort am 31.8.; auch live.
Lass uns kurz über die Werkauswahl sprechen. Klassiker der zeitgenössischen Musik von Alvin Lucier, Terry Riley und Giacinto Scelsi stehen im Programm neben aktueller Neuer Musik von österreichischen Künstlern wie Christian F. Schiller, Nik Hummer, Peter Kutin und Florian Kindlinger. Nach welchen Kriterien habt ihr die Werke ausgesucht?
Daniel Riegler: Es sind konzeptionelle Werke, bei denen wir davon ausgehen, dass die Fasslichkeit auch beim schnellen Hinschauen und Hinhören gegeben ist. Für das Projekt-Setting wurden Künstlerinnen und Künstler bevorzugt, die so arbeiten, dass man das Grundprinzip schnell erkennen kann – um zu entscheiden, ob man sich das auch zur Gänze ansehen- und hören möchte.
Abgesehen von den Komponistinnen Julia Purgina und Damaris Richerts wird man bei „ZONK!?!!“ Werke von fünfzehn Männern zu hören bekommen. Warum ist die Programmierung so ungleich verteilt?
Daniel Riegler: Diese kritische Standardfrage stellt ihr zurecht. Wenn man von den geschriebenen Werken absieht, gibt es aber viele Improvisatorinnen und andere Tanz- und Performance-Künstlerinnen im Pool des Gesamtprogramms. Es besteht also ein hohes Ausmaß an Frauenbeteiligung. Bei Uraufführungen, wo wir entscheiden können, an wen wir die Aufträge vergeben, achten wir auf die Quote. Das kann man bei allen unseren letzten großen Auftragsserien überprüfen, sie ist dann immer 50:50.
Sprechen wir die musikvermittelnde Arbeit vor und während des Projekts an. Wie setzt sich das Begleitprogramm konkret zusammen?
Daniel Riegler: Es ist kleiner geworden, weil uns die Schulkooperationen im Zuge des Umbaus des Projektes weggebrochen sind. Es gab eine starke Anbindung an Musikausbildungsstätten, die wir zeitpunktbedingt streichen mussten, weil im Sommer während der Ferien nichts geht. Es bleibt aber ein vermittelndes Projekt. Wir werden Informationen zu den einzelnen Aktionen mit QR-Kärtchen verteilen. Es wird Moderationen und einen Musikvermittler geben. Es gibt zwei Tage, an denen die Spielorte so gewählt wurden, dass sie „auf einer Spazierlinie“ liegen. Man kann sich zu diesem Spaziergang anmelden und sich von uns Informationen holen.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch in einer kleinen Seitenbemerkung auf eine sehr ähnliche Aktion vom 7. bis 11. September hinweisen, die jetzt durch die Verschiebung von „ZONK!?!!“ in zeitliche Nähe gerückt ist. Im Franz-Novy-Hof im 16. Bezirk veranstalten wir Kurkonzerte. Hier wollen wir die Abendkonzerte mit begleitenden Workshops verbinden. Diese Konzerte finden dann während der Schulzeit statt. Diese Workshops von wohnpartner werden von uns betreut.
„ZONK!?!!“ beiseite, im Juni ist auf dem Schweizer Avantgarde-Label HatHut Records ein neues Album von Studio Dan erschienen: „Breaking News“ – mit zwei Werken, dem Stück „Wow And Flutter“ von Oxana Omelchuk und „As We May Feel“ von George Lewis. „Zwei unserer liebsten Stücke“, wie du schreibst. Was macht den Reiz dieser Kompositionen aus?
Daniel Riegler: Als Posaunist bin ich auf halbem Jazzfuß unterwegs und habe große Bewunderung für George Lewis, diesen brillanten Posaunisten, Komponisten und Denker. Dass mir sein Stück „As We May Feel“ gefällt, war unvermeidbar. Allen macht es riesigen Spaß, dieses Stück von ihm zu spielen. Er hat auch bewusst ignoriert, dass wir keinen Dirigenten haben. Wir haben eine Expertise entwickelt, um es auch ohne einen zu spielen.
Oxana Omelchuks Stück ist süffig und gleichzeitig komplex. Es geht auf unsere Spezialitäten als Ensemble ein und nimmt Rücksicht auf unsere unterschiedlichen musikalischen Herkünfte. Dazu kommt die Ebene der zwei Solisten, von Matthias Muche und mir. Wir sind häufig als Duo aufgetreten. Oxana kannte uns. Sie hat sich im Vorfeld intensiv mit unserem Klang beschäftigt.
George Lewis spricht im Kontext seines kompositorischen Ansatzes von „einem assoziativen Diskurs mit behavior sets“. Was kann man sich darunter vorstellen? Wie hat sich das konkret beim Erarbeiten des Stückes „As We May Feel“ ausgewirkt?
Daniel Riegler: Das hat bestimmt mit seinem Background als Improvisator zu tun. Man greift auf Vorhandenes zurück, aber weniger im Sinne des (Ton-)Materials, mit dem man arbeitet, sondern im Sinne der Verhaltensmöglichkeiten und -positionen – vielleicht Reaktionsmuster –, die dir als Improvisator zur Verfügung stehen. Das würde ich zu „behavior sets“ assoziieren. Ich habe mit ihm nicht darüber gesprochen, aber ich interpretiere, dass er „in einem Fluss des Komponierens“ Impulse frei assoziierend mit seinen persönlichen vorentwickelnden Mustern weiterspinnt. Diese Form der improvisatorischen Arbeit hat auch sehr viel mit dem Leben zu tun: Man findet sich immer wieder in ähnlichen Situationen und erlebt sie doch wieder neu. Auf die Interpretation des Stückes hatte es keine Auswirkungen, weil „As We May Feel“ ganz genau ausnotiert ist. Es ist ein durchkomponiertes Stück im klassischen Sinne, im Gegensatz zu dem Stück „Wow And Flutter“ von Oxana Omelchuk.
Dieser Ansatz von George Lewis scheint mir eine Herangehensweise, die auf Studio Dan zutrifft. Man existiert als formbarer Organismus, passt sich an die Gegebenheiten an.
Daniel Riegler: Sehr richtig! Es ist ein sehr lebendiger Organismus. Es kommen ständig neue Leute dazu, die eine starke Stimme einbringen, andere starke Stimmen ziehen sich zurück oder kommen wieder zurück. Was uns von so manch anderen Ensembles, die ähnlich arbeiten, unterscheidet, ist, dass wir keine eindeutige stilistische Ausrichtung vorweisen. Das Ensemble ist sehr beweglich und anpassungsfähig. Durch Unplanbares und Unvorhersehbares müssen wir auch abseits der Bühne improvisieren.
Herzlichen Dank für das Gespräch!