Studio Dan

Die Soloschweine kriegen schon ihre Spots

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Falter 50/2010, Klaus Nüchtern, 2010-12-15

Daniel Riegler leitet Studio Dan, eines der spannendsten heimischen Ensembles, die den Grenzgang riskieren.

Obwohl es zum guten Ton gehört, das Grenzgängerische und Genreübergreifende zu preisen, hat der Kulturbetrieb die vielgescholtenen Schubladen dann doch ganz gerne: Man macht dann eben „Alternative Country“ oder „Weird Folk“ oder „Nu Jazz“. Daniel Riegler, Leiter der Formation Studio Dan, die er eben nicht als „Bigband“ bezeichnen möchte, hat zuletzt den Begriff „Experimentalorchester“ erfunden. „Was das Thema des Experiments ist, ist dann natürlich eine andere Frage“, räumt der gebürtige Grazer ein.

Anhören tut sich ein Experimentalorchester zum Beispiel wie eine Zirkusband; jedenfalls zu Beginn von „Circus“, das titelgemäß ausgelassen beginnt, ehe den einmarschierenden Artisten bereits nach 45 Sekunden die Luft ausgeht und das Circensische nur mehr im Text auszumachen ist: „Hold on tiger, let me ride on your back“ singt Nika Zach zu zarten Streicherklängen. Bei der dritten Strophe beginnt das Stück wieder Tempo aufzunehmen, verwandelt sich in einen flotten kammermusikalischen Walzer, ehe es sich ansatzlos mit breiter E-Gitarre und rockistischem Pathos in ein „Save me, save me!“-Crescendo steigert – um danach ebenso abrupt wieder in die Manege zurückzutaumeln.

Das klingt in der Beschreibung wesentlich anstrengender als beim Hören, wo die Wechsel in Stimmung, Tempo und Genre zwar Überraschung auslösen, aber durchaus nicht den Eindruck vermitteln, hier wollte jemand auf Weißclown-komm-raus nachweisen, was er alles draufhat.

„Things“, das jüngste Album von Studio Dan, war die Antwort auf die Frage: „Wie weit können wir in Richtung Pop gehen?“ Wobei man, wenn der Begriff „Pop“ fällt, jetzt nicht an Anna F. denken sollte. Vom Idiom her bewegt sich Sängerin Nika Zach, die auf „Things“ fast alle Texte und vier der insgesamt neun Kompositionen eingebracht hat, zwischen Jazz, Singing/Songwriting und Spoken-Word-Performance: „Duck“, das Bassist Bernd Satzinger wunderbar reichhaltig, aber nie pastos arrangiert hat, verfügt über hymnische Momente, die auch der späten Joni Mitchell nicht schlecht anstünden; der augenzwinkernd-kapriziöse bis hypernervöse Scat-Gesang lässt gelegentlich an Lauren Newton denken.

Errichtet wurde das Studio Dan als großer Klangkörper des Kreativpools Jazzwerkstatt Wien im Jahr 2005, in dem es genau zwei Konzerte gab. Riegler komponierte alles, arrangierte alles und spielte auch selbst noch als Posaunist in der Band – was er dann aber bald sein ließ. Mittlerweile ist aus der Band, deren Doppel-CD „Creatures & Other Stuff“ im Vorjahr mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet wurde, ein Klangkörper geworden, dessen Identität sich der gemeinsamen Anstrengung von Musikern ganz unterschiedlicher Herkunft und Spielauffassung verdankt: Von klassischen Orchestermusikern über des Notenlesens unkundige Autodidakten bis zum akademisch ausgebildeten Jazzer ist alles dabei.

Dabei verteilen sich „die Rollen relativ natürlich – je nachdem, wie man sich selbst und einander kennt“, erklärt Riegler. Das weitverbreitete Bigbandkonzept „Im Hintergrund rumpelt’s und vorne arbeitet einer“, will Studio Dan auf jeden Fall vermeiden. „Unsere Soloschweine kriegen schon ihre Spots, aber zum Glück haben wir nicht 18 davon, sondern bloß ein halbes Dutzend. Andere sind auch damit zufrieden, einen komplizierten, ausnotierten Part zu übernehmen, und alle bringen ein großes Verständnis dafür auf, dass es genauso wichtig ist, im Hintergrund etwas zu leisten. Die Rhythmusgruppe etwa ist komplett gefordert und muss ganz anders arbeiten als in ihrem gewohnten Umfeld: Die muss genauso Druck erzeugen, darf dabei allerdings nicht laut werden.“

Den Namen verdankt die Band Frank Zappa, dessen Stücke Studio Dan auch covert und dessen Album „Studio Tan“ die Assoziation auf die Schiene brachte; dass dabei auch noch der Vorname des Orchesterleiters und der Name eines Küchenstudios mit hirnzersetzend einprägsamen Werbeslogan („Dann Dan!“) mitschwingen, ist durchaus willkommen.

Genrepuristischer Abgrenzung ist ein leidenschaftlicher Zappatist wie Riegler naturgemäß abhold, präferiert „eher den amerikanischen Zugang“ gegenüber der strikten europäischen Scheidung zwischen E und U. Mit sorglosem Laissez-faire hat das nichts zu tun. „Crossover ist für mich kein positiv besetzter Begriff, solange nur wegen des Wiedererkennungseffekts aus verschiedenen Pools geschöpft wird“, betont Riegler. Es geht ihm durchaus nicht um „Fusion“, sondern darum, sich etwa im Jazz und in der Neuen Musik mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu bewegen – wechselweise Befruchtung nicht ausgeschlossen.

Für Free Jazz und freie Improvisation hat sich Riegler schon unüblich früh begeistert. Als Sohn eines Architekten besuchte er das vom Papa entworfene Culturcentrum Wolkenstein im steirischen Stainach. Bereits im zarten Alter von zwölf, 13 Jahren erlebte er ein Konzert des eher unzarten Saxofonteutonen Peter Brötzmann, dessen Posaunist ihn stark beeindruckte: „Ich habe erst ein halbes Jahr Posaune gelernt und nur so gespielt, wie ich glaubte, dass Paul Rutherford spielt: laut und wüst.“

Die Neue Musik kam um einiges später hinzu. Riegler besuchte die Musikprotokolle des Steirischen Herbst und gab sich begeistert: „Ich habe behauptet, dass es super ist, glaube aber, dass ich es erst viel später verstanden habe.“ Heute schätzt er Komponisten wie Edgar Varese, Conlon Nancarrow, John Cage oder Iannis Xenakis, dessen Einfluss in den flirrenden Dissonanzen von „Mirror“ spürbar wird: „Was mich an ihm fasziniert, ist die Kompromisslosigkeit. Es ist ja oft so schiach, was da rauskommt, und er muss das auch gehört haben. Es ist beeindruckend, bedrückend und berührend zugleich.“

Was Studio Dan von vielen Kollegen unterscheidet, ist die Professionalität, mit der sie – notgedrungen – die Sache selbst in die Hand nehmen. Zurzeit läuft ein eigener Abonnementzyklus, der dafür sorgen soll, dass die Band genügend Auftritte hat und nicht bloß immer wieder dasselbe Programm spielt, für nächstes Jahr sind Kooperationen mit dem Gitarristen Elliot Sharp und dem französischen Sopransaxofonisten Michel Doneda fixiert.

„Dass ich gut organisieren kann, ist vielleicht eine meiner Stärken“, räumt Riegler ein, obwohl er sich nicht immer wohl dabei fühlt. „Manchmal bin ich mir selbst unsympathisch, aber man muss es so machen – immer im Bewusstsein, dass Organisation und professionelles Auftreten noch gar nix ist, sondern dass es Inhalte braucht. Umgekehrt ist es genauso leicht, gute Musik zu machen. Es gibt so viele tolle Musiker, die nichts dafür tun, dass sie gehört werden – das ist ja auch Scheiße.“

Die Selbstzweifel sind sympathisch, aber durchaus unangebracht: Studio Dan beweisen überzeugend, dass Professionalität nicht in mainstreamiger Ödnis münden muss.