Studio Dan

Musik- und Seelenzergliederung im Pyjama: Kann dieser Komponist sich selbst erklären?

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diepresse.com, Dávid Gajdos, 2025-09-26

Bei den Musiktheatertagen Wien entpuppte sich Komponist und Ö1-Musikanalytiker Thomas Wally auch als begabter Schauspieler – und erntete Begeisterung für seine One-Man-Show „Being Karl Dieter“, eine „inszenierte Konzert-Analyse von unerhörter Musik“.

Der Oscar-prämierte Kultfilm „Das Leben ist schön“ hat eine Fortsetzung bekommen, möchte man meinen, wenn man Thomas Wally in „Being Karl Dieter“ sieht. Der quirlige Komponist ist genau so ein lustiges Nervenbündel wie Roberto Benigni – und sieht dem Italiener auch erstaunlich ähnlich. Und was am erstaunlichsten für einen Tonsetzer ist: Er ist ein durchaus brauchbarer Schauspieler, ein Naturtalent.

Der Komponist erklärt sein (fiktives) Stück…

Dass er ein guter Komponist und ein begnadeter Vermittler der Neuen Musik ist, weiß man hingegen schon länger. Für die Musiktheatertage Wien bewies Wally das wieder einmal, mit einer außergewöhnlichen Live-Fassung seiner regulären Ö1-Sendung „Neue Musik auf der Couch“, dargeboten im MuTh am Augarten. Statt wie üblich ein Werk aus fremder Feder analysierend zu zerlegen, komponierte er für den Abend selbst ein Stück, das aber nie als Ganzes erklang, sondern nur durch lauter kurze Einspielungen des exzellenten Ensembles Studio Dan unter der Leitung von Xizi Wang Gestalt annahm. Diese Musikschnipsel bettete Wally in einem grün glänzenden Seidenpyjama (wer weiß, vielleicht moderiert er auch auf Ö1 im Nachtgewand) in eine schlicht überfordernde Fülle an Kontextinformation.

… und offenbart seine (fiktive) Psyche

Mal erklärte er die physische Zusammensetzung eines Tons aus verschiedenen Naturtönen und deren Frequenzen, mal das Prinzip der Quintfallsequenz mit Beispielen von Vivaldi und aus dem Jazz. Meistens ging es aber um die drei literarischen Vorlagen, die der fiktive Komponist Karl Dieter Hartmann (also eigentlich Wally) auf die verschiedensten Arten in sein Werk integrierte, sei es mit Zitaten von Monteverdi bis Mozart, sei es mit komplexen mathematischen Ideen. Und all das trug Wally Benigni-esk schnell gesprochen vor, sodass das Publikum vor lauter Überforderung und Staunen nicht anders konnte, als immer wieder in Lachen auszubrechen.

Darf Musik Erklärungen brauchen?

Es ist schwer, die nie enden wollende Kette an Semiotik nicht als Selbstironie eines zeitgenössischen Komponisten oder sogar als Kritik an der Neuen Musik zu nehmen. Wallys Stück ist ein Paradebeispiel einer post-postmodernen Komposition, in der jeder Ton ein Verweis, jeder Akkord ein Symbol ist, von dem der Hörer freilich im Normalfall nichts mitbekommt – es sei denn, er hat einen Thomas Wally zur Hand, der einem alles erklärt. Im schlimmsten Fall wird Neue Musik so vollends zum elitären Hobby für ein paar wenige Bewohner im Elfenbeinturm, die die Bildung und die Zeit haben, sich mit ihr tiefgehend zu beschäftigen. Das Mozart-Divertimento, das Wally im Stück zitiert, macht auch Laien sofort Spaß.

Begeisterung für Multitalent Thomas Wally

Regisseur Florian Drexler besorgte für Wally eine echte Couch in Gelb und ließ ihn aus Kartonblöcken die Struktur des Stückes nachstellen, damit das Publikum das komplizierte Muster verstand, das dem Werk zugrunde liegt. Nach den ungeschriebenen Regeln des Theaters ließ Drexler Wally die anfangs ordentliche Bühne immer weiter dekonstruieren, womöglich wurde damit illustriert, wie Wally das Stück in seine Einzelteile zerbröselte. Wallys Charisma und die Qualität seiner Musik ließen die 90 Minuten kurz erscheinen, dafür gab es begeisterten Applaus. Es ist schade, dass das Stück nicht auch als Ganzes existiert: Nach all den Kostproben hätte man es gern in voller Länge gehört. Vielleicht lässt sich Wally dazu bewegen, es eines Tages fertig zu komponieren.